Toskana Tag 8
Distanz
0 Kilometer
Höhenmeter
0 Meter
Tag acht, 23.7.2012
Mein „freier Tag“ in Ferrara
Um etwa 7:30 Uhr breche ich zu einem Morgenspaziergang in die Stadt auf. Leider ist der Himmel sehr grau und es gibt starke Windböen.
Ferrara liegt in der Poebene und ist als „die“ Radfahrerstadt Italiens bekannt. Angeblich benutzen knapp 90 Prozent der Einheimischen das Fahrrad als Verkehrsmittel und legen damit 30 Prozent der Wege in der Stadt zurück. Dieser Wert ist mit Amsterdam vergleichbar. Geradelt wird in den Fußgängerzonen, den zahlreichen mittelalterlichen Gassen, auf dem 9 Km langen Stadtwall und natürlich auch sonst überall. Und Rad fahren kann man in jedem Alter, unabhängig von der sozialen Schicht und es geht auch mit mindestens 12 cm hohen High Heels oder ebenso hohen Plateaus.
Ich komme an einem großen Straßenmarkt vorbei. Es gibt etwas Obst, Gemüse, Blumen und Haushaltswaren, aber vor allem Textilien. Auch relativ gut gekleidete Frauen schlendern durch und gustieren. Am meisten Betrieb ist trotzdem bei den 1 Euro-Ständen.
Nach dem Frühstück fahre ich mit meinem Rad zur Wäscherei am Stadtrand, während ich auf die Wäsche warte und auch noch danach mache ich eine Stadtrundfahrt. Das Miteinander von Rad, Auto und Fußgängern scheint gut zu funktionieren, da einfach alle Verkehrsteilnehmer als existent wahrgenommen werden. Jeder weiß und richtet sich darauf ein, dass viele Radfahrer unterwegs sind, aber auch die gehen es sehr gelassen an und bummeln eher gemütlich dahin, ich sehe keinen einzigen aggressiv „sportlich“ rasen. Aber die Italiener sind im Vergleich zu ihren nördlichen Nachbarn im Straßenverkehr generell lockerer und nicht so rechthaberisch. Es fällt mir zumindest kein einziger Konflikt auf. Auffallend ist, dass es in Ferrara fast keine Mopeds gibt!
Am Nachmittag spaziere oder sitze ich die meiste Zeit in der Stadt herum und fotografiere: unzählige Fahrräder, Radfahrer und andere Passanten. Da ich von der Menge an Radfahrern so fasziniert bin, versuche ich wieder einmal, die Welt durch Zahlen fassbarer zu machen, und führe eine kleine private Verkehrszählung durch. Zwischen etwa 18:30 und 19:00 Uhr zähle ich an drei verschiedenen Orten im Zentrum die vorbeikommenden Radfahrer. An der Ecke Via Canonica/Via Contrari: 27; in der Mitte der Piazza Trento e Trieste, in beide Richtungen: 43; an der Piazza Catedrale/Durchfahrt Via Garibaldi: 70 Radfahrer – in jeweils 3 Minuten!
Es sind im Vergleich zu Graz viel weniger relativ neue, gut ausgestattete Räder unterwegs, Mountainbikes sieht man so gut wie gar nicht (es gibt ja auch keine Berge). Der aus Österreichs Städten bekannte Trend, Rennräder aus den 70er und 80er Jahren wieder hervorzuholen und als stylisches Stadtrad einzusetzen, ist nicht erkennbar. Der Retrolook, auch bei neuen Rädern, geht weniger Richtung Sportlichkeit, sondern eher in Richtung Eleganz: schwarz, creme- oder mintfärbiger Rahmen mit geschwungener Schrift, Sattel und Handgriffe aus Leder(imitation), hohe, nach hinten gebogene Lenker und Bremshebel, wie wir sie vom Waffenrad kennen. Dazu sind viele mit Satteltaschen oder Körben ausgestattet. Auch die ältesten Fahrräder werden abgesperrt. Die meisten Räder haben keine Schaltung, kaum ein Rad hat ein Licht montiert bzw. es wird nicht eingeschaltet oder ist kaputt. An zwei Abenden habe ich einen einzigen Radfahrer mit einem der bei uns gängigen blinkenden Batterielichter gesehen. Die Sättel sind durchwegs sehr tief gestellt, also auf gemütliche Stadtfahrt, bei der man die Füße bei Bedarf sofort am Boden hat.
Ach ja, natürlich gibt es in Ferrara nicht nur Fahrräder, sondern auch einen mittelalterlichen Stadtkern, einen Stadtwall aus ebendieser Zeit, eine große Burg mit einer Statue von Savonarola davor und einem Wassergraben drum herum mitten in der Stadt - und selbstverständlich auch eine Kathedrale!
Auf der Pza. Trento e Trieste spielen ein paar Jugendliche, optisch teils Punk, teils Skinhead, mit dem blechernen Deckel einer Keksdose Frisbee. Einmal landet er irgendwo zwischen den Passanten. Eine ca. 65 jährige resolute Dame droht dem Werfer lautstark an, was sie machen würde, wenn er sie mit dem Flugobjekt erwische: „Te taglio le balle!“. Der glatzköpfige junge Mann hält sich die Hände vor sein Gemächt und wiederholt es mehrmals lachend. Die Dame weist ihn nochmals darauf hin, wie gefährlich es ist, wenn jemand am Kopf getroffen wird. Die Jugendlichen hören mit dem Spiel auf und setzen sich wieder. Die sind zwar dort den ganzen Nachmittag herumgehangen, ich habe allerdings keinen Alkohol gesehen.
Ich schaue noch beim Hotel Carlton vorbei, es wäre meine alternative Wahl zum Due Prati gewesen. Es sieht auch nett aus, ist gut gelegen und hat eine Garage dabei, daher wird es auf der Rückreise mit dem voll gepackten Auto unser Quartier sein.
Was mir sonst noch auffällt (nicht nur in Ferrara):
Die Italiener bestellen im Restaurant oft nur mehr einen Gang und sie geben offenbar in der Gastronomie kaum (mehr) Trinkgeld.
Die „kleine Geste“ in familiären Betrieben gibt es noch: Die Rechnung im Restaurant macht 26,10 Euro aus (damit bin ich sicher ein guter Gast), die Wirtin gibt mir auf 25 Euro heraus mit einem „Passt schon!“. Auch am Abend zuvor in dem trendigen Lokal ging der Kaffee auf das Haus.